Wenn der Genuss sich wegweisend entscheiden muss.

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In diesem Fall, zwischen Ohr und Gaumen

Beschäftigt man sich etwas intensiver mit der Mutmaßung (bezüglich des Genusses von Speisen), die nahelegt, jener Genuss erlebe seine erste Eruption auf der Zunge, stellt sich automatisch die Frage in den Weg, ob hier das Sinnesorgan Auge nicht doch voreilig außer Acht gelassen wurde?
Bei mir verhält es sich zumindest so, dass der Blick auf den Teller, der dem für mich kreierten, kulinarischen Gericht die angemessene Bühne bietet, bereits Aktivitäten im Gehirn auslösen, welche für eine erhöhte Speichelproduktion in meinem Mund sorgen. Weit weniger hoffnungsfroh nähere ich mich dem Dargebotenen, wenn der Gaumen trocken bleibt und mein Magen mir mit pulsierenden Krämpfen zu signalisieren versucht, vielleicht doch lieber einen Fastentag einzulegen.

Nicht weniger spektakuläre Reaktionen verursacht der erste Blick auf die mal mehr, mal weniger in ihrer künstlerischen Gestaltung gelungene Hülle, in der sich eine Vinylscheibe befindet, die feinsten Genuss für das Ohr verspricht. Außer einem erwartungsvollen Zungenschnalzen (meist ausgelöst durch die Wahrnehmung des Künstlers, der sich mit seinem Namen für das Produkt verbürgt) passiert da wenig bis gar nichts im Mund. Die sensiblen Sensoren zwischen Gehirn und Gaumen scheinen außer Kraft gesetzt. Die Vorfreude wechselt zu einem anderen Sinnesorgan und entscheidet sich dabei für das Ohr. Hammer, Amboss und Steigbügel werden auf ihre Funktionalität überprüft, das Trommelfell ideal verspannt und die Gehörgänge von Ablagerungen befreit. Messer und Gabel fallen unter den Tisch. Stattdessen werden die Kopfhörer sorgfältig justiert. Man ist bereit für das Erlebnis Musik.

Dies ist exakt jener Moment, in dem im »Ringelspiel der Sinne« Einigkeit herrscht.
»Was hält die nahe Zukunft wohl für mich bereit? Genuss oder Desaster?«
Als ideal oder wie gemacht käme hier die Situation in Betracht, wenn die Signale an Gaumen und Ohr gleichsam inspirierend und betörend wären. Da dieser, fernab jeglicher Einwände zu erlebende Augenblick leider nicht im Übermaß verfügbar scheint, schnitzt man sich seinen ureigenen Moment – wenn auch mit leichten Ecken und Kanten.

Jack Johnson - Banana Pancakes

Hier nun ein typisches Beispiel für den passenden Augenblick aus der Eigenproduktion – kleinen Einschränkungen inklusive.

Jack Johnson ist in seinem Song fest davon überzeugt, der angebrochene Tag sei bestens dafür geeignet, jegliches Ungemach aus dem Alltag zu ignorieren und sich stattdessen an frisch ausgebackenen Bananen-Pfannkuchen zu erfreuen.
Dem, was das amerikanische Multitalent, der, ob als Regisseur, Musiker oder Surfer, meist eine gute Figur abgibt, hier vorschlägt, scheint mir grundsätzlich nicht viel entgegenzusetzen sein. Außer – und jetzt nähern wir uns der kleinen Unzulänglichkeit an selbst geschnitzten Momenten – der Tatsache, dass mir Bananen-Pfannkuchen wie ein Angriff auf meine Geschmacksnerven erscheinen. Pfannkuchen (zumindest die, die mir bislang untergekommen sind) leben von dem, was auf sie gestrichen oder womit sie gefüllt werden. Ansonsten würde ich sie der Kategorie Teiglappen mit fadem Beigeschmack beiordnen.

Nicht viel anders verhält es sich mit der Frucht, die in Europa vorwiegend nur in Gelb und viel zu oft mit braunen Flecken käuflich zu erwerben ist – die Banane. Versteckt im morgendlichen Müsli, durch geröstete Nusskerne, frische Himbeeren oder Johannisbeeren und Joghurt geschmacklich überrollt, nehme ich sie ja noch hin. Die Aufforderung meiner Mutter an mich gerichtet, doch bitte die bereitgelegte Banane zu vertilgen, weil sie doch so gesund sei, ließen innerhalb von Sekundenbruchteilen die ausgeprägte Renitenz und mich zu besten Kumpels werden.

Daher verwundert es nicht, dass ich immer Gabi aus Ostdeutschland beneidete, die es ohne die Banane durch ihre komplette Jugend im Arbeiter- und Bauernstaat geschafft hatte und erst nach dem Mauerfall mit dem Teil konfrontiert wurde, dessen Verzehr mit dem eigenen Kopfhaar erkennbar wilde Dinge anrichten kann.

Gabi zierte übrigens in jener Zeit, als Zuwanderung noch erwünscht war, das Titelblatt der **»Titanic«.

Da ich die Diskrepanz zwischen Musik und Genuss (oder Jack Johnson und mir) nicht in ihrer Deutlichkeit übertrieben darstellen möchte, greife ich nach einer Schüssel und den auserwählten Lebensmitteln, die nach Abschluss der Arbeiten die Pfannkuchen auf den Teller bringen, die meine Geschmacksnerven positiv stimmen sollten.

Kirschpfannkuchen mit Beerenfrüchten als Beilage

Um das kulinarische Experiment nicht noch komplizierter zu gestalten, als das gesamte Leben an sich bereits ist, bereite ich einen Pfannkuchenteig zu, dem ich noch etwas Hefe beigebe. Die Zeit, die der abgedeckte Teig benötigt, um, in Zusammenarbeit mit der Hefe, an Volumen zuzulegen, nutze ich dazu, die Kirschen (in diesem Fall Süßkirschen) zu entsteinen.
Danach werden die Kirschpfannkuchen mit etwas Butterschmalz oder Kokosöl in der Pfanne ausgebacken.

Da mir die Kombination aus warm und kalt, süß und leicht säuerlich besonders mundet, entschied ich mich für ein frisches Potpourri aus Beeren mitsamt einem Schlag griechischem Joghurt.
Um diesem Genuss den gebührenden Rahmen zu verleihen, muss (so leid es mir auch tut) Jack Johnson die Bühne räumen. Ich bitte Keith Jarrett, mich nochmals an dem teilhaben zu lassen, was er am 24. Januar 1975 im Kölner Opernhaus aus einem Bösendorfer-Stutzflügel, dessen Pedale und einige Tasten klemmten, herauskitzelte und was zum meistverkauften Jazz-Album aller Zeiten wurde.

Allerdings – und dies sollte keinesfalls unter die Serviette geschoben werden – spielt der Jazz beim Genuss von Speisen eher den Part des Aperitifs. Wenn es so richtig zur Sache geht, dann schwingen die Klassiker den Taktstock. Und dies nicht ganz ohne Grund. Nicht wenige dieser Komponisten waren dem Essen ebenso zugeneigt wie einer gelungenen Partitur.
Zwei Beispiele gefällig?

Giuseppe Verdi

Er ist es nämlich, der hinter dem Rezept für ein köstliches „Risotto alla Milanese“ steht. Piemonteser Reis, Rinder- oder Kalbsmark, Safran und Trüffel bilden hierbei die Grundlage. Der Meister höchstpersönlich äußerte sich 1822 wie folgt dazu:
„Will man also den Beyfall im Theater erkaufen, so bezahlt man gewissen Leuten nebst dem freyen Eingangsbillete auch einen Risotto, welches so viel sagen will, als ein gutes Glas Wein. Erhält nun der Componist, Sänger usw. vielen, aber unverdienten Beyfall, so sagen gewöhnlich die hieran keinen Antheil nehmenden Zuhörer: quanto risotto!“

Gioachino Rossini

Wer sich ein wenig mit der Kulinarik befasst hat, dem ist dieser Begriff mit Sicherheit bei einer Gelegenheit untergekommen: „Tournedos à la Rossini“.
Ob vom Kalbsfilet oder aus dem Rinderfilet geschnitten, bleibt dem Geschmack überlassen. Doch zum „Rossini“ wird es erst durch die Beigabe von Gänseleber und Trüffel. Der Komponist war in der Tat (so ganz nebenbei erwähnt) auch ein hervorragender Koch. Ihm wird auch dieses Zitat zugeordnet:
Der volle Magen ist die Triangel des Vergnügens oder die Kesselpauke der Freude. Essen, Lieben, Singen, Verdauen sind die vier Akte der Komischen Oper, die Leben heißt – und das vergeht, wie der Schaum einer Champagnerflasche.”



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7 comments
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Aww
Jack Johnson is such a cutie
He sings so well
I love his performance

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Johnson actually sings quite well actually if one should really rate it. It actually went quite well I must confess

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Oft hängt der Geschmack einer Speise damit zusammen, welche Kindheitserinnerungen damit verbunden sind. An Bananen Palatschinken würde ich wohl recht unvoreingenommen herangehen. Kenne ich nicht - Schauen wir mal. Bis jetzt kam noch niemand In meinem Umfeld auf die Idee. Auch den Song von Jack Johnson kannte ich bisher noch nicht.
Dafür brauchst Du keinen "Quanto Risotto".

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Johnson's to an extent I will say do is part actually

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